Jeder von uns hat das Bedürfnis nach Abstand. Den räumlichen Abstand zueinander, die Intimdistanz: Die Distanz, die man zu einem Mitmenschen benötigt, um sich nicht bedrängt zu fühlen. Das variiert natürlich von Mensch zu Mensch! Während der eine keine Unterhaltung führen kann, ohne dem Gesprächspartner durch Anfassen und körpernahen Gestiken nahezukommen, hat der andere Probleme damit, im Bus dicht neben einer fremden Person zu sitzen. Der Abstand, den wir zueinander brauchen unterscheidet sich von Person zu Person, von Kultur zu Kultur, von Generation zu Generation.
Nun fügen sich unsere Hunde seit Jahrtausenden nahtlos in unser Leben ein, sie sind wie Ihre wölfischen Vorfahren sozial hoch entwickelte Tiere. Und als soziales Lebewesen ist auch unserem Hund der beschriebene Abstand ein großes Bedürfnis. In der Verhaltensbiologie redet man dabei von der Individualdistanz, also der Distanz zu einem fremden Reiz (z.B. Mensch, Hund), die für den Hund ‚ok‘ ist, die er dulden kann, ohne zu flüchten oder aggressiv zu reagieren. Und wie beim Menschen variiert diese: von Hund zu Hund, von Rasse zu Rasse.
Die Wahrung der Individualdistanz ist unseren Hunden ein großes Bedürfnis. Und wir alle möchten unseren Hunden ein ausgeglichenes, entspanntes und zufrieden stellendes Leben ermöglichen. Die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ist dafür von großer Bedeutung. Unsere Hunde brauchen Futter, Ruhe, Sozialkontakt, Bewegung – um nur einige Bedürfnisse zu nennen. Und sie brauchen Abstand. Abstand zu Artgenossen und Abstand zu uns Haltern.
So möchte nicht jeder Hund geknuddelt werden. Während der eine Hund Streicheleinheiten liebt, ist es dem anderen Hund unangenehm, angefasst zu werden. Nicht jeder Hund möchte sämtlichen fremden Hunden während der Gassi-Runde ‚Hallo‘ sagen. Und unsere Hunde teilen uns das mit – und zwar rechtzeitig! Weit bevor die Zähne gezeigt werden, gebellt oder gebissen wird, beschwichtigt der Hund. D.h. er nutzt fein abgestufte körperliche Signale, um zu zeigen, dass er Abstand benötigt: Die Umarmung seines Menschen könnte mit ausgiebigem Gähnen und wegdrehen des Kopfes kommentiert werden. Es liegt an uns als Hundehalter und -bezugsperson, auf diese Signale zu achten und sie zu verstehen.
Die Individualdistanz variiert aber nicht nur von Hund zu Hund oder Rasse zu Rasse. Kranke Hunde oder Hunde mit Schmerzen benötigen mehr Abstand. Hunde mit unzureichender Sozialisierung benötigen mehr Abstand. Hunde, die in zu wilden und chaotischen Hundegruppen gelernt haben, dass ihre Individualdistanz ständig unterschritten wird oder deren Individualdistanz ständig unterschritten wurde, neigen dazu, andere Hunde verstärkt zu bedrängen bzw. brauchen mehr Abstand – und haben im ungünstigsten Fall gelernt, fremde Hunde bewusst zu bedrängen.
Für verantwortungsvolle Hundehalter, -trainer, -betreuer heißt das: Abstand respektieren und Abstand wahren! Lassen Sie Ihren Hund, egal ob mit oder ohne Leine, nicht kopflos auf fremde Hunde zupreschen. Zeigen Sie Ihrem Hund, dass es sich lohnt Individualdistanz zu respektieren und – sofern erwünscht – langsam Kontakt herzustellen. Sorgen Sie dafür, dass die Individualdistanz Ihres Hundes im Sozialkontakt gewahrt wird. Social Walk-Gruppen, Begegnungstrainings und -workshops bieten unseren Hunden eine wunderbare, stressfreie Möglichkeit, ebendas zu üben. Überschwämmen Sie Ihren Hund nicht mit körperlicher Zuneigung, wenn er diese nicht möchte und sorgen dafür, dass auch andere Menschen Ihren Hund nicht belagern.
Letztlich gilt es, wie eingangs erwähnt, die Bedürfnisse unserer Hunde zu verstehen und zu befriedigen. Je besser wir das schaffen, desto hochwertiger wird unser Zusammenleben und desto effektiver lassen sich Probleme vorbeugen oder beheben. Also: Abstand bitte!
Eine schöne, leider immer noch nicht weit genug verbreitete Initiative zu diesem Thema:
Gelber Hund braucht Freiraum
Außerdem: Lesenswert!
Sehenswert: Körpersprache der Hunde